Waiblingen. Paul ist ein ganz normaler Junge. Er geht in die fünfte Klasse, spielt Schlagzeug und engagiert sich in der Beinsteiner Jugendfeuerwehr. Doch ohne eine Bluttransfusion alle drei Wochen könnte der fröhliche Elfjährige nicht leben: Seit seiner Geburt leidet er an einer seltenen chronischen Blutkrankheit, der Diamond-Blackfan-Anämie. Sein Knochenmark produziert keine roten Blutkörperchen, die der Körper für den Sauerstofftransport benötigt.
Kurz vor der neuen Bluttransfusion geht Paul schneller die Puste aus als sonst. Manchmal klagt er auch über Kopfschmerzen. Zwei halbe Tage oder einen ganzen Tag braucht es dann, damit es ihm wieder gut geht. Im Krankenhaus wird an seinem Arm ein Eingang für die Nadel gelegt und eine Blutprobe genommen. „Anschließend wird das für ihn passende Blut bestellt“, erklärt sein Vater Werner Merz. Das Blut müsse bestrahlt und aufbereitet werden, bevor die Transfusion losgehen kann. Das alles dauert Zeit, aber Paul kennt die Prozedur. „Für mich“, sagt er lässig, „ist das ganz normal.“
Die erste Bluttransfusion bekam das Baby mit vier Wochen
Was für den Elfjährigen aus Beinstein Alltag ist, ist die seltene Diamond-Blackfan-Anämie, an der in Deutschland im Moment gerade mal rund 250 Menschen leiden. Bei Paul wurde sie schon als neugeborenes Baby diagnostiziert. „Die erste Bluttransfusion bekam er mit vier Wochen, weil er so blass war“, erinnert sich sein Vater. Im Laufe seines ersten Lebensjahres bekam das Baby die lebenswichtigen roten Blutkörperchen alle drei Wochen über eine Bluttransfusion, bis die Therapie mit 15 Monaten umgestellt wurde. „Paul bekam Cortison und keine Blutkonserven mehr“, erzählt seine Mutter Silke. Tatsächlich wurde dadurch das Knochenmark stimuliert – allerdings mit schlimmen Nebenwirkungen. „Es war ein Auf und Ab“, erinnert sich Silke Merz. Bis zu 50 Mal seien sie während dieser Zeit im Krankenhaus gewesen, weil ihr kleiner Paul mit den Nebenwirkungen und Infekten kämpfte.
Blutkonserven bringen unerwünschte Wirkung mit sich 2011 wurde das Cortison abgesetzt, auch weil das Hormon Pauls Wachstum hemmte. Seitdem bekommt er wieder Blutkonserven im Krankenhaus. „Alle drei Wochen müssen wir da hin“, sagt seine Mutter. „Aber jetzt haben wir wenigstens ein regelmäßiges Leben. Wir haben uns entschieden, Ruhe reinzubringen.“ Mit den Bluttransfusionen an sich hat Paul keine Probleme, wobei aber auch diese unerwünschte Wirkungen nach sich ziehen, die genau kontrolliert werden müssen: „Das größte Problem ist das Eisen“, sagt Werner Merz. Mit den roten Blutkonserven nimmt Paul viel zu viel Eisen auf, das seine Organe schädigen würde. Aus diesem Grund setzt er sich jeden Abend eine Mininadel und pumpt direkt ein Medikament in seinen Körper, das das Eisen abbaut. „Dass ich mich abends piksen muss, finde ich schon blöd“, sagt Paul, der ansonsten aber meist gelassen mit seiner Krankheit umgeht.
Bei Familie Merz ist die Krankheit eine Laune der Natur „Früher sind die Kinder mit dieser Krankheit kurz nach der Geburt gestorben“, weiß Werner Merz. Später habe man sie mit Blutkonserven therapiert, bis sie mit ungefähr zwölf Jahren starben, weil sie sich mit der übermäßigen Zufuhr an Eisen selbst vergiftet hätten. Tatsächlich sei die Diamond-Blackfan-Anämie als seltene, angeborene Form der Blutarmut vergleichsweise wenig erforscht. Werner Merz und seine Frau Silke sind nicht vorbelastet, auch Pauls kleiner Bruder Gustav (7) ist gesund. „Bei uns ist es eine Laune der Natur“, resümiert Silke Merz, die selbst unter Rheuma leidet.
Einmal im Jahr trifft sich die Familie mit anderen Betroffenen und Fachärzten in einer bundesweiten Selbsthilfegruppe in Hessen zum Erfahrungsaustausch. Es sind Familien mit betroffenen Kindern, aber auch Erwachsene, die mit der Blutkrankheit leben müssen. Die Hoffnung, dass irgendwann ein Medikament gefunden wird, ist gering. Zu selten sei die Krankheit, als dass die Pharmaindustrie an ihrer Erforschung interessiert sei, meint Werner Merz. Immerhin gebe es Fortschritte bei der Therapie gegen die Eisenüberlastung. Und möglicherweise gebe es irgendwann ein Medikament als Nebenprodukt der Forschung zur Blutbildung.
Bei all den Sorgen und Problemen hilft der Austausch. Zudem empfiehlt Werner Merz Betroffenen, einen guten Arzt zu suchen, aber nicht im Internet rumzusuchen. „Da macht man sich nur verrückt“, weiß er aus Erfahrung. Inzwischen hat die Familie Ruhe gefunden. „Wir haben eine schlimme Krankheit in der Familie“, sagt Silke Merz. „Aber wir haben gelernt, damit zu leben.“
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